In diesen Tagen erinnert sich Europa an den Wiener Kongress, der dem
Kontinent 1815 die Zukunft wies. Zwölf Jahre später lag das Bündnis der
Großmächte in Scherben. Der Grund hieß Griechenland.
Von Berthold Seewald Leitender Redakteur Kulturgeschicht Die Welt
Von Berthold Seewald Leitender Redakteur Kulturgeschicht Die Welt
Am 20. Oktober 1827 fuhr ein kombiniertes
englisch-französisch-russisches Geschwader in die Bucht von Navarino an
der Westküste der Peloponnes. Was als Machtdemonstration für die
türkisch-ägyptische Flotte geplant war, endete in einer blutigen
Schlacht.
Im
Herbst des Jahres 1827 konnte der junge Historiker Leopold Ranke eine
Erfahrung machen, die seinen Aufstieg zu einem der berühmtesten Denker
Deutschlands prägen sollte. Statt in Wiens Archiven nach staubigen Akten
zu wühlen, empfing ihn mit Friedrich Gentz einer der wichtigsten
Strippenzieher Europas.Als Intimus des österreichischen Staatskanzlers Metternich war der Hofrat über die Weltlage bestens unterrichtet. Bei einem Besuch wurde Ranke Zeuge, wie Gentz eine erschütternde Nachricht erhielt. Der hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berge: Das System der Heiligen Allianz war zerstört.
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Das
Ereignis, das die Ordnung Europas zum Einsturz brachte, war der
Vormarsch einer Flotte aus englischen, französischen und russischen
Schiffen im Mittelmeer. Dieses kombinierte Geschwader vernichtete am 20.
Oktober 1827 die türkisch-ägyptische Flotte bei Navarino vor der
Westküste der Peloponnes. Damit hatten drei Großmächte Europas
entschieden, was zu verhindern sie sich zwölf Jahre zuvor verpflichtet
hatten: nach der Niederwerfung Napoleons keine Revolution gegen die
bestehende Ordnung zu dulden. Die Schlacht von Navarino aber bedeutete
den Sieg des griechischen Aufstandes.
Sechs Jahre zuvor hatten
sich die Griechen gegen die osmanische Herrschaft, unter der sie seit
fast 400 Jahren mehr schlecht als recht gelebt hatten, erhoben. Zwar
hatte der Sultan an dem Wiener Kongress, der 1814/15 Europa neu geordnet hatte,
nicht teilgenommen. Dennoch torpedierte ein Aufstand gegen ihn die
internationalen Grundsätze, auf die man sich in Wien geeinigt hatte und
zu deren Schutz wenige Monate später in Paris zudem die Heilige Allianz
zwischen Österreich, Preußen und Russland geschlossen worden war. Diesem
Pakt waren fast alle europäischen Staaten beigetreten; nur England und
der Papst blieben abseits.
Als wichtigstes Mittel auf dem Weg zu einem "immerwährenden Frieden" galt die Sicherung der legitimen Ordnung.
Das aber bedeutete, dass jeder Aufstand als Revolution verstanden
wurde, der den Bündnisfall auslösen würde. Warum dies ausgerechnet im
Fall der Griechen nicht geschah und deren Angriff auf das internationale
System sogar durch einen Militärschlag der Großmächte zu ihren Gunsten
sanktioniert wurde, erklärt sich zum einen durch kalte Staatsräson, zum
anderen mit dem (Wieder-)Aufstieg einer neuen Macht: der öffentlichen
Meinung.
Um das Prinzip
der Restauration in Europa durchzusetzen, beschäftigte ihr mächtigster
Statthalter Metternich ein dichtes Netz von Agenten und Zensoren. Vor
allem in den deutschen Ländern knebelten die Karlsbader Beschlüsse
Publikationen und Gespräche. Da kam der Aufstand der Griechen den
mundtot gemachten Bürgern gerade recht. Denn ein lautstarkes Eintreten
für die Rechte unterdrückter christlicher Untertanen des Sultans konnten
schwerlich als Opposition gegen die heilige Ordnung Europas gedeutet
werden.
Der Stellvertreterkrieg im Orient
Dies
umso weniger, als auch Metternich, Gentz und ihre Mitarbeiter als
gebildete Männer natürlich davon überzeugt waren, dass sie erst das Erbe
der antiken Griechen zu guten Europäern gemacht hätten. Das Verfahren
erinnert an die Rolle des Vietnamkrieges für die Bürgersöhne des
Westens: Ein Guerillakrieg im Orient gab der "Intellektuellen-Religion
des Neuhumanismus Gelegenheit, sich zu aktualisieren und zu
politisieren", wie es der Historiker Heinz Gollwitzer beschrieben hat.
Europas öffentliche Meinung, die ihre Macht schon einmal während der
Französischen Revolution erfahren hatte, erhob lautstark ihre Stimme.
Sie sollte, auch dies ist ein Ergebnis des griechischen Aufstandes, nie
mehr auseinandergehen.
Während
Metternich mit aller Macht versuchte, den leidenschaftlichen
Philhellenismus unter Kontrolle zu halten, ließen sich seine Partner von
anderen Interessen leiten. Für Preußen lag das Osmanische Reich hinter
dem Horizont. England und Russland aber erkannten, dass ein Pulverfass
auf dem Balkan ihren strategischen Zielen gefährlich werden konnte. Das
war aus Londoner Sicht eine intakte Türkei, die dem russischen Streben
nach Süden widerstehen konnte.
In St. Petersburg sah man das naturgemäß anders.
Dort gab man sich als Schutzmacht aller orthodoxen Christen aus und
verschleierte damit das Ziel, am Mittelmeer Fuß zu fassen. Nicht umsonst
hatte eine Geheimorganisation das Signal
zum Aufstand gegeben, die in Odessa gegründet worden war.
Griechischstämmige Offiziere der Zarenarmee hatten die ersten Schüsse
abgefeuert.
Stationen des griechischen Nationalstaats
Während Metternich
Österreich aus diesem Spiel um Länder und Positionen heraushielt,
schwenkte Frankreich auf den britischen Kurs ein und machte den
osmanischen Besitz von Bosporus und Dardanellen zu seinem Anliegen. Nach
den Regeln des Ancien Régime wäre das auf den Krieg zwischen drei
Signatar-Mächten des Wiener Friedenswerks hinausgelaufen. Das aber hätte
für England und Frankreich bedeutet, gegen die lautstarke Meinung der
Öffentlichkeit zu handeln.
Aus
diesem Grund wurden die Mittelmeer-Geschwader der drei Großmächte zu
einer Art humanitärer Aktion zusammengeführt. Ihr britischer Kommandeur
erhielt den Auftrag, vor der Drohkulisse seiner Kanonen von den Türken
die Zustimmung zu einem sofortigen Waffenstillstand zu erzwingen. Weil
subalterne Soldaten dabei die Nerven verloren, kam es zu einer Schlacht,
in der die türkisch-ägyptische Flotte in Flammen aufging. Danach war an
eine Fortsetzung der bis dahin erfolgreichen osmanischen Offensive
nicht mehr zu denken. Die Revolution hatte gesiegt und sollte 1830 auch
Frankreich, Italien und Polen erschüttern.
Aber
nicht nur als Stellvertretersymbol für die unzufriedenen Untertanen von
Metternich und Co. hatte Griechenland eine zentrale Rolle bei der
Erosion des Wiener Friedensordnung von 1815 gespielt. Der Sieg des
Philhellenismus bekräftigte noch einmal die humanistischen Ideale, die
ihn trugen. Die Vorstellung, dass es sich bei den Griechen der Neuzeit
um Nachfahren eines Perikles oder Sokrates handeln würde und nicht um eine türkisch überformte Mischung aus Slawen, Byzantinern und Albanern,
wurde für das gebildete Europa zu einem Glaubenssatz. Dem konnten sich
auch die Architekten der EU nicht entziehen. In seinem Sinne holten sie
das schon 1980 klamme Griechenland ins europäische Boot. Die Folgen sind
täglich zu bestaunen.
Συγνωμη που σας χαλασαμε τη συνταγη !!
ΑπάντησηΔιαγραφήA) «Das System der Heiligen Allianz war zerstört»
ΑπάντησηΔιαγραφή_ erstens, das System von Metternich war nicht ganz zerstört, im Gegenteil..;
_ zweitens, was war fast zerstört, war der internationale Vertrag zwischen Russland und Turkei, bei dem Russland ALLEIN das Recht hatte, die Orthodoxen Christen im ganzen turkischen Reich vor dem (und vom) Sultan zu schützen ;
_ drittens, die Heilige Allianz, war shon von Metternioch selbst zerstört geworden (s. der Brief von Kapodistria zum Zar, 1826).
B) «In St. Petersburg sah man das naturgemäß anders. Dort gab man sich als Schutzmacht aller orthodoxen Christen aus und verschleierte damit das Ziel, am Mittelmeer Fuß zu fassen. Nicht umsonst hatte eine Geheimorganisation das Signal zum Aufstand gegeben, die in Odessa gegründet worden war» aber :
- eine Geheimorganisation unter englische und keinerlei russische Beeinflussung.
C ) « eine türkisch überformte Mischung aus Slawen, Byzantinern und Albanern » ist niemals gegeben. Unter die Othomannen Turken, jede Religionsgemeinschaft lebte getrennt von der anderen. Es konnte nur ethnisch Mischungen in derselben Religionsgemeinschaft geben, aber auch diese Mischungen waren nur Sonderfallen.
D) Die Griechen waren und sind immer da.